Aus der vierten Sitzung des Klimabeirates am 23.9.2021 wurden die Besucher mit sehr gemischten Gefühlen entlassen. Einerseits ging es endlich um konkrete Maßnahmen und Inhalte. Was da in den vergangenen drei Monaten durch die Klimabeiräte und weitere Experten erarbeitet wurde, ist beeindruckend. Auch die Möglichkeit für die Bürgerschaft, sich über die Beteiligungsplattform der Stadt zu allen Maßnahmen zu äußern und sie zu bewerten, ist keine Selbstverständlichkeit und ein bemerkenswerter Aufwand seitens der Stadtverwaltung (https://beteiligung.stadtlindau.de/projects/klimaschutzkonzept-lindau-2035-mit-blick-auf-2050/).
Im deutlichen Gegensatz dazu stand jedoch der geradezu verstörende Abschluss der Sitzung. Bürgermeisterin Katrin Dorfmüller, die in ihrer Einlassung noch betont hatte, dass ihr Klimaschutz eine „Herzensangelegenheit“ sei, teilte mit, dass um der „Glaubwürdigkeit“ des Klimabeirates willen das bis dahin immer klar formulierte zentrale Ziel der Klimaneutralität 2035 nicht beibehalten werden könne. In der Kommunalpolitik hätte man schließlich vieles nicht in der Hand und müsse sich deshalb darauf zurückziehen, im Rahmen der beschränkten Möglichkeiten am Klimaschutz zu arbeiten. Ein alternatives Ziel nannte Frau Dorfmüller nicht. Nach möglichen Anmerkungen aus dem Klimabeirat wurde nicht gefragt, Stadtrat Daniel Obermayr das Wort verweigert und danach wurden alle Besucher implizit aber bestimmt gebeten, die öffentliche Sitzung zu verlassen.
Sowohl die Art und Weise, in welcher diese erschütternde Wendung mitgeteilt wurde, wie auch die Entscheidung selbst ist aus unserer Sicht untragbar.
Der Deutsche Bundestag hat sich einstimmig dazu verpflichtet, das Pariser Klimaabkommen einzuhalten. Es ist in der Fachwelt unstrittig, dass ganz Deutschland bis 2035 klimaneutral sein muss, um den dazu nötigen Beitrag zu leisten. Deshalb ist diese wissenschaftlich erwiesene Notwendigkeit eine der zentralsten Forderungen von Fridays For Future auf Bundesebene und auch in den lokalen Forderungen für Lindau (https://lindauforfuture.de/wp-content/uploads/2020/05/Lokale-Forderungen-Fridays-For-Future-Lindau.pdf), hinter denen auch Parents For Future steht. Dafür haben am Tag nach der Sitzung des Klimabeirates in Lindau 500, in Deutschland über 600.000 Menschen demonstriert. Verliert vor diesem Hintergrund der Klimabeirat nicht vor allem dann seine Glaubwürdigkeit, wenn er den Fachkollegen aus den Klimawissenschaften widersprechend die Klimaneutralität 2035 offen aufkündigt? Wird er nicht gerade dadurch endgültig zum Feigenblatt der Stadt in Sachen Klimaschutz? Mit Blick auf den Stadtrat scheint seltsamerweise die Glaubwürdigkeit in Sachen „Herzensangelegenheit Klimaschutz“ keinerlei Schaden zu nehmen, wenn bspw. die Elektrifizierung des Stadtbusses um viele Jahre verzögert wird. Jeder weiß um die Größe des Vorhabens Klimaneutralität 2035. Umso wichtiger ist es, das auch entsprechend festzuschreiben. Am Anfang eines beschwerlichen Weges muss eine Vision stehen – das motiviert und fordert gleichermaßen. Auch ist für jedermann offensichtlich, dass ohne notwendige Weichenstellungen und Förderprogramme auf Bundes- und Landesebene keine Kommune in Deutschland klimaneutral werden kann. Aber ändert das etwas am Ziel? Klimaschutz passiert gerade auf allen Ebenen und die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens wird eine weitere Beschleunigung erzwingen. Die von Frau Dorfmüller zitierte Argumentation folgt zu sehr dem bekannten Blockademuster: „Alleine kann ich nichts erreichen, deshalb fange ich nicht an“. Wenn auf kommunaler Ebene nachweislich alles dafür getan wurde, 2035 klimaneutral zu sein – wer würde dann Klimabeirat und Stadtrat Unredlichkeit vorwerfen wollen? Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass man das Ziel gerade deshalb verfehlen wird, wenn man sich jetzt nicht eindeutig dazu bekennt? Gerade beim Klimaschutz erleben wir permanent, mit welcher Ignoranz gesetzte Ziele ohne jede Konsequenz meilenweit verfehlt werden. Warum also dennoch diese übertriebene Vorsicht bei der Formulierung eines Zieles? Darüber hinaus haben sich bereits etliche Kommunen in Deutschland das Ziel gesetzt, 2035 klimaneutral zu sein. Statt den Kollegen dort implizit Naivität vorzuwerfen, sollte man diese nicht lieber konsultieren, Partnerschaften bilden und sich informieren, wie man dort plant, erfolgreich zu sein? Außerdem ist die Signalwirkung der Empfehlungen des Beratungsgremiums „Klimabeirat“ an den Stadtrat von immenser Wichtigkeit. Die starken konservativen Kräfte im Stadtrat werden zweifellos auch in Zukunft den Klimaschutz massiv ausbremsen. Deshalb darf nicht schon im Fachgremium selbst die Ablehnung und Aufweichung der Maßnahmen und Ziele vorweggenommen werden.
Abschließend stellt sich die Frage: Will Lindau tatsächlich Abstand nehmen vom wissenschaftlich richtigen Ziel der Klimaneutralität 2035 – welches konkrete, messbare Gesamtziel soll sich die Stadt stattdessen setzen? Uns bleibt nur inständig zu hoffen, dass die Diskussion noch nicht abgeschlossen ist und sich Klimabeiräte und Stadträte auf die fundamentale Wichtigkeit der Klimaneutralität 2035 besinnen.