Der Klimabeirat – Im Schritttempo zur Klimaneutralität 2035?

Am 24.06.2020 beschloss der Lindauer Stadtrat die Berufung eines Beratungsgremiums zum Thema Klimaschutz und Klimawandelanpassung. Mit der Verabschiedung der Geschäftsordnung und Zusammensetzung am 20.10.2020 war der Klimabeirat geboren. Zunächst ist dies natürlich sehr erfreulich, konnten doch einige ausgewiesene Experten in für Klimaschutz und dessen Wegbereitung relevanten Fachbereichen gewonnen werden. Zieht man jedoch nach nun bald anderthalb Jahren Bilanz, fragt man sich vor allem, was die Gründe dafür sind, dass Klimaschutz in Lindau noch immer nicht die nötige Fahrt aufgenommen hat.

Auf der Habenseite zu verbuchen sind ein definierter Prozess, über den Vorschläge eingereicht und bewertet werden können, ein umfangreicher Maßnahmenkatalog, daraus einige (wenige) vom Stadtrat beschlossene Einzelmaßnahmen, sowie die vielversprechende, auf Betreiben einiger Beiräte initiierte Webseite der Stadt „Lindau fürs Klima“. Nicht zu vergessen der bislang größte Erfolg: Der Beschluss des Zieles „Klimaneutralität bis zum Jahr 2035“ für Lindau, welches der Klimabeirat nach ausführlichen Diskussionen empfohlen hatte. Doch schon der Vergleich dieses ebenso begrüßenswerten wie ambitionierten Zieles mit den bisherigen Schritten lässt erahnen, welche Temposteigerung nötig wäre, um es auch zu erreichen. Genauer betrachtet zeigen sich drei grundsätzliche Probleme des Klimabeirates: (1) die Besetzung, (2) die Organisation und (3) die fehlende Vertretung der Zivilgesellschaft.

Klimawandel – in Zukunft trockenen Fußes vom Giebelbach zur hinteren „Insel“?

(1) Bei einem Blick auf die Zusammensetzung des Klimabeirates fällt auf, dass der größte Teil der Mitglieder durch Mitarbeitende aus Verwaltung und stadtnahen Unternehmen gestellt wird, die die ihrem Verantwortungsbereich komplementäre Position im Klimabeirat selbst besetzen. Damit lassen sie sich in Sachen Klimaschutz de facto durch ihr eigenes Alter Ego beraten. Auch wenn man allen Beteiligten beste Absichten unterstellen kann, handelt es sich hier um einen fundamentalen Konstruktionsfehler. Wäre es nicht besser, tatsächlich unabhängige Experten in Sachen Klimaschutz in den entsprechenden Handlungsfeldern als Sparringspartner zu den Verantwortlichen zu benennen?

(2) Des Weiteren mangelt es deutlich an Struktur und Effizienz. Mehr als ein Jahr nach der ersten Sitzung gibt es keinerlei www.lindauforfuture.de Seite 4 Plan, anhand dessen sich der Fortschritt des Projektes „Klimaschutz in Lindau“ bewerten ließe – sei er auch noch so unvollständig und vorläufig. Es existiert keine nachvollziehbare Liste offener Aufgaben mit Verantwortlichkeit, Zieltermin, Status. Es fehlt ein auf einen Blick überschaubarer Statusreport zum CO2-Ausstoß mit der angepeilten Abbaukurve sowie den erwarteten Wirkungen der bewerteten und beschlossenen Maßnahmen („One-Pager“). Die Sitzungen des Klimabeirates, die in erster Linie dazu dienen müssten, einen kontinuierlichen Arbeitsprozess in den teilweise langen Pausen dazwischen zu organisieren und zu kontrollieren, erfüllen damit diese Kernaufgabe nicht. Statt die Arbeit zu verteilen, fällt das Gros aller Tätigkeiten direkt der Klimaschutzmanagerin zu, wodurch ein enger Flaschenhals entsteht. Auf das Problem der mangelhaften personellen Ausstattung der Verwaltung wurde sowohl im Klimabeirat als auch durch die Klimaschutzmanagerin selbst in der Vergangenheit immer wieder hingewiesen – bisher jedoch folgenlos.

(3) Und wie ist es möglich, dass die diversen zivilgesellschaftlichen Akteure in Sachen Klimaschutz (Bund Naturschutz, Agenda 21, Fridays For Future, Förderverein Erneuerbare Energie, Bürgerenergie, Parents For Future, …) überhaupt nicht vertreten sind? Immerhin verdankt der Klimabeirat selbst seine Existenz im Wesentlichen den Protesten von Fridays For Future, die dem Thema im Alleingang überhaupt erst die längst überfällige Aufmerksamkeit verschafft haben. Selbst laut Geschäftsordnung dient der Klimabeirat „als Verbindungsglied zwischen der Öffentlichkeit und den politischen Gremien der Stadt Lindau (B) für den Klimaschutz“. Dem wurde in den ersten Sitzungen versucht, zumindest durch eine einladende Gestaltung Rechnung zu tragen, in der auch die Zuschauer einbezogen wurden. Dieser Charakter ist jedoch in den jüngsten Sitzungen beinahe vollständig verloren gegangen. Zudem sind die relevanten Organisationen nicht stimmberechtigt, vom Informationsfluss abgeschnitten und natürlich auch in nichtöffentlichen Sitzungen nicht vertreten, wie im Mai 2022 erstmals eine stattfinden wird.

Zeituhr - Das Zeitfenster schließt sich.
Foto: Freepik: user6702303

Der augenscheinlichste Gradmesser für den fehlenden Elan ist wohl der Blick auf die bisherigen Empfehlungen aus dem Klimabeirat. Auf der Homepage heißt es lapidar: „Derzeit gibt es noch keine Empfehlungen“. Damit verkauft man sich sogar unter Wert, wenngleich sich die Beschlussvorlagen für den Stadtrat noch immer an einer Hand abzählen lassen – wohlgemerkt bald zwei Jahre nach der Entscheidung, den Beirat einzurichten. Außerdem fällt auf, dass mehrere „Beschlüsse“ lediglich Aufträge zur Erarbeitung von Strategien und Konzepten sind. Das legt die Frage nahe, ob tatsächlich ein Jahr ein Expertengremium tagen muss, nur um das Fehlen selbiger festzustellen. Wäre nicht vielmehr die Erwartung gewesen, dass der Klimabeirat eben diese Strategien und Konzepte als Ergebnisse liefert?

Eine der bereits im Oktober 2021 beschlossenen Einzelmaßnahmen ist jedoch das vermutlich wichtigste Instrument überhaupt: „Entscheidungen des Stadtrates auf Klimarelevanz prüfen“ (also zusätzlich zur finanziellen Auswirkung für jeden Beschluss vorab auch die Klimaverträglichkeit zu bewerten und dies entsprechend in der Vorlage zu dokumentieren)! Seither wurde jedoch kein Wort mehr darüber verloren – und Umsetzungstermine werden scheinbar systematisch keine festgelegt.

In der Gesamtschau wartet man bisher leider vergeblich auf die Entfaltung des großen Potentials, welches die Institution „Klimabeirat“ bieten könnte. Von der anfänglichen Aufbruchsstimmung aller Beteiligten ist wenig übrig. Dies wird auf Dauer auch für die Mitglieder selbst frustrierend sein. Im gegenwärtigen Tempo ist das gesetzte Klimaziel in den verbleibenden 13 Jahren nicht erreichbar. Darum ist es absolut essenziell, dass die Aktivitäten in und um den Klimabeirat schnell deutlich mehr Dynamik und Wirksamkeit gewinnen.

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